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Verwaltungsgericht Gießen: Radfahrer müssen Radweg nicht benutzen

Das Verwaltungsgericht Gießen hat in einem wegweisenden Urteil die Rechte der Radfahrer als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer gestärkt. Das Gericht bestätigte, dass Radfahrer grundsätzlich auf der Fahrbahn fahren dürfen – auch dann, wenn es einen Radweg gibt. Städte und Gemeinden dürfen nur im Ausnahmefall Radwege als benutzungspflichtig kennzeichnen und dies auch nur dann, wenn die Radwege den jeweils aktuellen Straßenbaurichtlinien entsprechen (Az.: 6 K 268/12.GI). Im konkreten Fall hatte die Stadt Gießen auf einem einseitigen, gemeinsamen Geh- und Radwege durch blaue Schilder für beide Fahrtrichtungen eine Benutzungspflicht angeordnet. Das darin enthaltene Verbot für Radfahrer, auf der Fahrbahn zu fahren, begründete die Stadt allein mit einer hohen Verkehrsdichte auf der Bundesstraße 49. Die Richter machten jedoch deutlich, dass die Stadt Gießen ihr Ermessen falsch ausgeübt hat, weil sie die Vorgaben der Baurichtlinie ERA nicht berücksichtigt hat. Der Geh- und Radweg sei mit seinen 2,50 Metern zu schmal und verstoße auch gegen weitere Vorgaben der Baurichtlinie ERA. Der ADFC Hessen begrüßt das erste hessische Urteil zu dieser Thematik. Das Verwaltungsgericht habe deutlich gemacht, dass Radfahrer selbst an Bundesstraßen nicht automatisch auf Radwege gezwungen werden dürfen – schon gar nicht, wenn die Radwege bauliche Mängel aufweisen. Das Urteil ist jedoch auch deshalb wegweisend, weil es sich um einen erst im Jahr 2010 von Landesbetrieb „Hessen Mobil“ gebauten Radweg handelt. Die Richter haben betont, dass das Land Hessen beim Bau dieses Weges gegen wichtige Sicherheitsstandards verstoßen hat. Das Gericht bescheinigt dem Land Hessen in der Urteilsbegründung für diesen konkreten Fall auch eine schlechte Qualitätssicherung im Radwegebau und eine gewisse Ignoranz bezüglich der Sicherheitsbedürfnisse des Radverkehrs. Das Urteil kommt daher auch den Radfahrern zugute, die Radwege freiwillig und sehr gerne benutzen, denn das Land muss nun seine Qualitätsstandards beim Bau und Erhalt von Radwegen anpassen. Viele Radwege in Hessen müssen nach dem Urteil nun verbreitert, Einmündungen umgebaut und Oberflächen erneuert werden. Ebenso müssen die bereits seit 2009 vorgeschriebenen, aber in Hessen nirgendwo nachträglich realisierten, Querungsstellen an allen außerörtlichen Radwegen geschaffen werden. Sofern Land und Kommunen diese Maßnahmen nicht finanzieren wollen oder können, müssen Radwegebenutzungspflichten generell aufgehoben werden, so dass Radfahrer dann wählen können, ob sie die in der Regel sicherere Fahrbahn oder den Radweg nutzen wollen. Der ADFC Hessen wird in Kürze das Verkehrsministerium bitten, die Straßenverkehrsbehörden, aber auch Hessen Mobil, über die Rechtslage erneut aufzuklären, damit endlich geltendes Recht umgesetzt wird und unzulässige blaue Schilder beseitigt werden bzw. unzulängliche Radwege ausgebaut werden. „Wenn Städte und Gemeinden in Zukunft erreichen wollen, dass Radfahrer nicht auf der Fahrbahn fahren, geht das nicht durch Aufstellen von blauen Schildern, sondern nur mit Radwegen, auf denen man mit dem Rad sicher, zügig und komfortabel vorankommt“, so Dr. Jan Fleischhauer, Vorstandsbeauftragter für Verkehrspolitik des ADFC Hessen.

Hintergrund

Bereits seit dem 1. September 1997 sieht die StVO das Radfahren auf der Fahrbahn als Regelfall vor und lässt es nur ausnahmsweise zu, Radwege mit dem blauen Radwegeschild als benutzungspflichtig zu kennzeichnen. Hintergrund dieser vielerorts noch unbekannten Regelung sind die Ergebnisse der Unfallforschung. Zahlreiche Studien belegen, dass Radfahrer auf Radwegen im Vergleich zur Benutzung der Fahrbahn einem deutlich höheren Unfallrisiko ausgesetzt sind. Auf baulich getrennten Radwegen werden Radfahrer häufig von abbiegenden Autofahrern übersehen. Dort kommt es auch immer wieder zu Konflikten mit Fußgängern. Zudem kommen Radfahrer auf der Fahrbahn zügiger und komfortabler voran. Das Bundesverwaltungsgericht hatte bereits 2009 geurteilt, dass Radwege nur dann als benutzungspflichtig gekennzeichnet werden dürfen, wenn es eine besonders erhöhte Gefahrenlage bei der Benutzung der Fahrbahn gibt. Das Verwaltungsgericht Gießen hat geurteilt, dass die Radwege zusätzlich den Vorgaben der aktuellen Baurichtlinie „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ entsprechen müssen, damit sie als benutzungspflichtig ausgewiesen werden können. Bisher wurde oftmals davon ausgegangen, dass es ausreichen würde, wenn Radwege die geringeren Mindeststandards aus der Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung erfüllen, was das Verwaltungsgericht Gießen jedoch als ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig eingestuft hat. Die meisten Städte und Gemeinden in Hessen ignorieren jedoch bis heute die entsprechenden Vorschriften und haben fast alle Radwege als benutzungspflichtig beschildert. Erst jüngst hat die Stadt Frankfurt eingeräumt, dass sie in den kommenden Jahren die Radwegebenutzungspflicht an fast allen Radwegen in der Mainmetropole abschaffen werde, um das seit vielen Jahren geltende Recht umzusetzen und den Radfahrern mehr Platz auf den Straßen zu geben.

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Befindet sich ein Radfahrer auf dem Radweg im toten Winkel eines LKW, kann es schnell lebensgefährlich werden. Auch hier gilt, dass Radfahrer in der Regel besser auf der Fahrbahn wahrgenommen werden.
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Besonders bei Kurven und Einmündungen zeigt sich, dass Radfahrer auf Radwegen in der Regel erst spät vom Autoverkehr erkannt werden. Auf der Fahrbahn ist dieses Risiko deutlich niedriger
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Für die Fahrer ausparkender Autos sind Radfahrer auf dem Radweg sehr schwer rechtzeitig zu erkennen. Ein Radfahrer, der hier übersehen wird, hat keine Chance mehr zu bremsen oder auszuweichen.